Menschenrechte als Manövriermasse

Nichts dokumentiert den imperialen Siegeszug der USA und den Missbrauch der Menschenrechte und Demokratie besser als das Scheitern des „Major Events“ in New York – eines umfassenden Projektes zur Reform der Vereinten Nationen

von Kamil Majchrzak

Der Zerfall der Sowjetunion und die Auflösung des Ostblocks katapultierten die USA zum unangefochtenen Einzelspieler der internationalen Politik. Das Imperium und seine interventionswilligen Vasallen aus Mitteleuropa- allen voran Polen – profilieren sich so als Beschützer von Menschenrechten und Demokratie. Das Scheitern des Kommunistischen Experiments und die Globalisierung bietet die diskursive Begleitmusik für einen angeblich unaufhaltbaren Prozess. Selbst die radikale Linke stimmt mit Antonio Negris „Empire“ und „Multitude“ eine Arie auf den Kapitalismus und die USA als Erlöser der Welt an, angesichts der „Unfähigkeit“ der Vereinten Nationen den Weltfrieden zu garantieren. Die Geltendmachung des imperialen Anspruchs wäre vollendet, wäre da nicht das Gewaltverbot und die souveräne Gleichheit aller Mitglieder der Vereinten Nationen. Eine Sicherheits-Architektur, welche die USA selbst miterschaffen haben. In Zeiten fehlender Bi-Polarität der atomaren Bedrohung steht diese dem hegemonialen Solisten im Wege.

In den letzten 15 Jahren haben die USA alles versucht um die UNO als zahnlosen und entscheidungsunfähigen Papiertiger zu diskreditieren. Unilaterale militärische Interventionen der USA sollten die UNO in der Wahrnehmung ihrer Funktion als Hauptverantwortliche für die Wahrung des Weltfriedens ersetzen. Doch die UNO war und ist noch lange nicht am Ende und es ist nicht die „UNO“, sondern insbesondere die 5 ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates die für die Qualität und Effektivität der UNO zur Verantwortung gezogen werden müssen. Es waren hauptsächlich die USA die mit Ihrem Veto seit 1945 alle sachlichen Entscheidungen im Sicherheitsrat blockierten.

Umso mehr erstaunt, das sich die internationale Staatengemeinschaft in diesem Jahr zu mehreren wichtigen Reform-Initiativen zusammengefunden hat. Das Jahr 2005 hat maßgebliche Bedeutung für die Weiterentwicklung der menschenrechtlichen und entwicklungspolitischen Instrumente der Vereinten Nationen. Die Veröffentlichung zahlreicher Berichte wie „Peking plus 10“ (Umsetzung des Programms zur Gleichstellung von Frauen und Männern), „Kopenhagen plus 10“ (Nachfolgekonferenz des Weltsozialgipfels zur Beseitigung der Armut), der Sachsbericht zur Erreichung der Millennium Development Goals (MDG) dienen der Überprüfung der bisher getroffenen Maßnahmen.

Das wichtigste Reform-Dokument bildet der Panel-Bericht, der Mitte September 2005 während des „Major Event“ in New York durch 191 UN-Mitgliedstaaten angenommen wurde. In monatelangen Verhandlungen einigten sich die Unterhändler auf eine ambitionierte Vorlage mit einer Vielzahl praktischer Politikvorschläge für den Gipfel. Das besondere an dem Panel-Bericht („Eine sicherere Welt – unsere gemeinsame Verantwortung“) ist, dass zum erstem mal strukturelle Reformen der Vereinten Nationen mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen verbunden wurden und „Entwicklung“ als unabdingbare Grundlage für ein neues Verständnis von Sicherheit herausgestellt wird: „Extreme Armut und Infektionskrankheiten sind schon für sich genommen Bedrohungen, schaffen darüber hinaus jedoch auch ein Umfeld, in dem das Auftauchen anderer Gefahren, einschließlich ziviler Konflikte, wahrscheinlich wird. Wenn wir die Sicherheit unserer Bürger besser schützen wollen, ist es unerlässlich, dass der Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird und die notwendigen Ressourcen dafür bereitgestellt werden.“

Zwei Wochen vor dem Gipfel nahm sich, der am US-Kongress vorbei durch G. W. Bush berufene UN-Botschafter John Bolton, des Resolutionsentwurfes an und meldete mehrere Hundert Änderungswünsche – und merkte an, nun bleibe wenig Zeit sich zu einigen. Die Vorlage wurde auf eine Ansammlung inhaltsleerer Phrasen reduziert.

Eines der Kernpunkte des Panel-Berichts war die explizite Forderung, dass ein ständiger Sitz in einem reformierten und vergrößerten Sicherheitsrat denjenigen entwickelten Staaten zustehen soll, die das Kriterium „des international vereinbarten Zielwerts von 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP) erreichen bzw. erhebliche Schritte zu deren Erreichung“ vorgenommen haben.

Deutschland ist es seit der Veröffentlichung des Panel-Berichts im Dezember 2004 gelungen die Reform des UN-Sicherheitsrates von dem Grundanliegen des Berichts ein gleichberechtigtes System der kollektiven Sicherheit und die Ergreifung von konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut und der Infektionskrankheiten (allen voran AIDS/HIV) zu entkoppeln. Damit hat sie den USA bei der Zersetzung des Dokuments Hilfestellung geboten. Die Bundesrepublik stellt derzeit lediglich 0,28 Prozent ihres BSP für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Verfügung. Dies macht ca. 8 Mld. Euro aus. Um das in der „Millenniums- Erklärung“ aus dem Jahre 2000 festgelegte Ziel bis zum Jahre 2015 die weltweite Armut durch die Bereitstellung von jährlich 0,7 Prozent des BSP für Entwicklungszusammenarbeit zu halbieren, müssten zusätzlich 16 Mld. Euro bereitgestellt werden. Diese Summe ist bei der derzeitigen Haushaltslage in Deutschland unerreichbar. Beachtenswert ist dabei, dass auch die gegenwärtige ODA-Quote von 0,28 Prozent nicht vollständig als Entwicklungszusammenarbeit missverstanden werden sollte. Bei vielen Maßnahmen der deutschen Entwicklungshilfe handelt es sich um die Finanzierung von sogenannten zivil-militärischen Maßnahmen der Bundeswehr (CIMIC). Auf diese Weise werden die ohnehin schon weitgefassten Kriterien der Quote der Official Development Agency (ODA) der OECD aufgeweicht.

Doch die Sicherheitsratserweiterung und damit eine teilweise Demokratisierung der UNO ist ohnehin nach dem Eingriff Boltons nur noch Makulatur. Die Ereichung der MDG ist nach dem amerikanischen Redaktions-Hurrikan Bolton im Abschlussdokument zwar enthalten aber auf eine unverbindliche Form geschmälert.

Entkoppelt von Maßnahmen zur Armutsbekämpfung begrenzte sich die Diskussion um die Sicherheitsrat-Reform vor dem Gipfel auf das Prestigevorhaben der G4-Staaten (Deutschland, Brasilien, Indien und Japan) die damit ihre neue außenpolitische Stellung sichern wollen. Die Durchsetzung deutscher Interessen am Hindukusch hätte so außen- wie innenpolitisch als „Verpflichtung“ und „Übernahme der Verantwortung“ für die Weltordnung uminterpretiert werden und mithin auch neue Legitimationskraft gewinnen.

Die größten Rückschritte des Major Events liegen beim Thema Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, in der Handelspolitik und der Schaffung eines Menschenrechtsrates, der die UN-Menschenrechtskommission in Genf ablösen sollte. Bolton ließ sich auf keinerlei Zusagen zur Abrüstung ein und stellte gleichzeitig das Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie in Frage. In dem Abschlussdokument ist auch keine Rede mehr von Agrarsubventionen, Marktzugang und geistigen Eigentumsrechten.

Mit dem Scheitern des Gipfels haben sich die USA und ihre Vasallen die Geschäftsgrundlage geschaffen um weiterhin Krieg zu führen. Ihre Legitimität beziehen sie von der angeblich uneffektiven UNO, die sie zuvor selbst zersetzt haben.

Nach Angaben des Entwicklungsministeriums sterben täglich 30.000 Kinder an Krankheiten, die hätten vermieden werden können. Allein in Afrika südlich der Sahara leben 12 Millionen Aids-Waisen – also genauso viel, wie Kinder in Deutschland leben. Diese Menschen spielen international nur dann eine Rolle, wenn die USA bei Überschuss eigener Lebensmittel eine Drohkulisse benötigen, um eine Hungerkatastrophe auszurufen, wie vor einigen Jahren in Zimbabwe. So kann der US-Markt über US-AID vom nicht benötigten genmanipulierten Maismehl befreit werden, damit die einheimischen Preise nicht gefährdet werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Völkermord, noch vor einem Jahr haben die USA Darfur zum Völkermord-Gebiet erklärt, um Druck auf die Regierung in Khartum auszuüben. Nach dem die Öl-Deals gelaufen sind, blockiert der UN-Botschafter Bolton die Vorstellung des Bericht des UN-Sondereberichterstatters zur Darfur-Krise. Da die Verträge bereits Unterschrieben sind braucht man ja kein Völkermord als Druckmittel mehr.

Kamil Majchrzak

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