Zweierlei Antagonismus. Der Postmarxismus und Carl Schmitt

gleichzeitig Erschienen in analyse + kritik /zeitung für linke debatte
und praxis / ak # 503 vom 17.2.2006

von Przemysław Wielgosz

Der Entwurf eines Dritten Weges liegt in Trümmern. Die Wahl-Katastrophe der polnischen Sozialdemokratie (SLD), die vier Jahre lang treu dessen Dogmen vertrat, bietet ein repräsentatives Beispiel dafür. Die Bundestagswahl in Deutschland hat dies eindrücklich bestätigt. Die britische Ausnahme bestätigt nur die Regel, da New Labour sich nur aufgrund des Zweiparteien-Wahlsystems und der Unfähigkeit der Konservativen Partei an der Macht hält.

Es scheint, als ob für viele, die vom neoliberal verstrickten Linksliberalismus enttäuscht sind, der Postmarxismus von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau eine Alternative bietet. Entgegen der Hoffnung der Linksliberalen auf einen überparteilichen Kompromiss rufen diese zur Wiederaufnahme der Antagonismen auf. Damit treffen sie den eigentlichen Kern des Problems. Beide Seiten rühmen sich, indem sie Marx verwerfen, die Emanzipation vom vulgären Ökonomismus zu vollbringen. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass dies tatsächlich eine Flucht vor der Lösung des fundamentalen Problems ist.

Die Schwäche der Theorien von Mouffe/Laclau liegt in der Trennung des Antagonismus vom Mechanismus der gesellschaftlichen Reproduktion. Politik gehört bei ihnen zu einer völlig autonomen sozialen Sphäre – sie erhebt sich über das reale Leben als übergeordnete Ebene höherer Werte. Die Gründe für die hier sichtbaren Antagonismen liegen für sie allein im Bereich menschlicher Emotionen: Im Grunde sind politische Einstellungen lediglich eine Frage der moralischen Einstellung oder individueller Prädispositionen, nicht der objektiven Verwurzelung in der jeweiligen Gesellschaftsstruktur. Dieser formalistische Politik-Ansatz führt in eine gefährliche Nachbarschaft zur konservativen Tradition. Nicht verwunderlich ist deshalb, welche Anerkennung Mouffe für das Werk eines Carl Schmitt hegt. Die Konzepte des Hauptjuristen Nazideutschlands zum Politischen und zur Macht beruhten ebenfalls auf einer antimarxistischen Tradition. Auch Schmitt suchte die Ursachen für den gesellschaftlichen Antagonismus in den Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur, in der Sphäre der irrationalen Emotionen. Er kam so zu dem Schluss, eine liberale Demokratie als unmöglich zu verwerfen. Die Zustimmung zu einer solchen fatalistischen Polit-Anthropologie führt immer unweigerlich zu rechts-konservativen Erklärungen – auch wenn Mouffe ausdrücklich die faschistischen Schlussfolgerungen Schmitts ablehnt.

Bei Schmitt hat der Antagonismus eine zweifache Funktion. Erstens ist er Ausdruck von Irrationalität und gesellschaftlicher Ungleichheit. Als solcher legitimiert er eine rechtsextreme Diktatur, eine Ordnung, die auf Exklusion beruht und sowohl ein nihilistisches Sich- Abfinden mit der Irrationalität benötigt als auch eine philosophische Vision der Ungleichheit. Zweitens rechtfertigt der Antagonismus die Einführung einer juristischen Ideologie, die auf dem Begriff des Ausnahmezustandes beruht. Staatliche Reaktionen auf verschiedene Ausnahmezustände (also Situationen, in denen Antagonismen zum Ausdruck kommen) sollen gemäß dieser Theorie durch Recht institutionalisiert werden.

Diese Ideologie erlebt gegenwärtig eine traurige Renaissance. US-Amerikanische Neocons, die britische New Labour sowie – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – die polnischen Postkommunisten verwirklichen die schmittsche Idee des Ausnahmezustandes. Die ersten haben ihren Patriotic Act, das Lager in Guantánamo, Massenfolter im Irak und Afghanistan, die zweiten nutzten die Terrorbedrohung zur Einschränkung der Bürger- und Menschenrechte (insbesondere von MigrantInnen), letztere beteiligen sich als Subunternehmer im Rahmen des geheimen Archipels Folter der CIA. In Polen nahm die Wiederbelebung der schmittschen Ideen unter der neuen rechtskonservativen Regierung groteske Formen an. Zur Sicherung der Heiligen Weihnachtszeit wurden gemischte Patrouillen von Polizei und Militär auf die Straßen, Parkplätze und in die Supermärkte geschickt. Da die polnische Verfassung den Einsatz der Armee nur im Notstandsfall vorsieht, legte die Regierung fest, dass die Vorweihnachtszeit eine solche Sicherheitsbedrohung darstelle.

Ob es den PostmarxistInnen gefällt oder nicht, sie tragen einen Teil der Verantwortung für die Unbeschwertheit, mit welcher die Idee des Ausnahmezustands den politischen Diskurs der bürgerlichen Demokratien erobert hat. Wo die mit der Klassenzugehörigkeit zusammenhängenden Interessen und Bestrebungen nicht mehr wahrgenommen werden, ist die Renaissance von Schmitt nur noch eine Frage der Zeit. Wenn die elementaren Unterschiede innerhalb der Gesellschaft nach einer ethno-kulturalistischen Trennlinie und im Sinne einer auf Emotionen und Gewalt reduzierten Politik verlaufen, kann die Anerkennung solcher Antagonismen nur antidemokratisch sein.

Der Antagonismus, der auf ethnischen oder kulturellen Unterscheiden beruht, hat immer einen repressiven oder autoritären Charakter. Das Ziel des Kampfes ist hier nämlich nicht die Emanzipation, sondern die Verfestigung der gesellschaftlich vererbten oder aufgezwungenen Identität (ethnischer oder kultureller Art). Die ethno-kulturelle Gemeinschaft verwirklicht ihren positiven Inhalt im Kampf mit dem Fremden und kann deshalb immer nur ausschließen. Die Dynamik des Antagonismus dient somit einzig und allein dem unveränderten Fortbestehen der Gemeinschaft. Ihr Kampf eliminiert die Gefahr, die aus gesellschaftlicher Veränderung folgen könnte: die Auflösung der ethno-kulturellen Identität. Darauf beruht aber gerade eine rechte Vision der Politik, deren Herz der Ausschluss, die Exklusion ist.

Völlig anders stellt sich dies dar, wenn der Antagonismus auf den unterschiedlichen Zugang zu den Macht- und Produktionsmitteln bezogen wird. Die abhängigen Klassen kämpfen nicht dafür, ihren Status zu bestätigen (als ArbeiterInnen, Bauern oder MigrantInnen), sondern dafür, sich von diesem Status zu emanzipieren. In der klassischen Marxschen Deutung soll sich das Proletariat in einem Akt der Selbstbefreiung selbst aufheben. Das Ziel des Kampfes ist nicht die postmarxistische Hegemonie, die nur eine neue Verkleidung eines alten liberalen Freiheits-Konzeptes ist. Das Ziel ist hier, was Slavoj Żiżek die leninistische Freiheit nennt, also die Veränderung der Spielregeln der Hegemonie.

Die PostmarxistInnen gehen davon aus, dass es kein gültiges Unterscheidungskriterium gibt für die Trennung einer gerechten von einer ungerechten Position, dass nur die Gewalt entscheidend ist (und diese wird nicht durch das Klasseninteresse determiniert). Daraus folgt, dass die Klasseninteressen der Arbeitenden und der Kapitalisten letztendlich den gleichen Status besitzen. Auf diese Weise entgeht den PostmarxistInnen ein wesentliches Merkmal des kapitalistischen Systems: die Tatsache, dass der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital einen Konflikt zwischen der Macht und dem Widerstand dagegen ausdrückt. Zwischen diesen beiden kann man aber kein Gleichheitszeichen setzen.

Die Alternative liegt nicht zwischen Linksliberalen und einer lediglich auf Antagonismen orientierten Linken. Es geht heute um die Belebung solcher Antagonismen, die über die Form der Gesellschaft entscheiden. Um dies zu erreichen, muss die Linke die linksliberalen Träumereien ebenso verwerfen wie den postmarxistischen Glauben an eine Politik unabhängig vom Kapitalismus. Das heißt, sie muss ihre Handlungsebene wechseln.

Eine echte Veränderung in der linken Politik kann nur dann erfolgen, wenn sie bereit ist, sich am Antagonismus von Arbeit und Kapital zu verorten. Sie muss einen Platz an der Front einnehmen, die durch diesen Antagonismus gesetzt ist. In der Praxis bedeutet dies, die Idee einer Autonomie der politischen Szene zu verneinen. Dies kann durch die Demaskierung der ideologischen Funktion der formalen Demokratie geschehen. Gegenwärtig bleibt die Demokratie lediglich ein formelles Spektakel, welches die undemokratische Herrschaft des Kapitals legitimiert.

Die Aufgabe einer echten demokratischen Linken besteht in der Demokratisierung an sich, der Politisierung solcher Lebenssphären, die in kapitalistischen Gesellschaften eine Schlüsselfunktion bilden und bislang brutal entpolitisiert werden. Mit anderen Worten: Es muss die Ebene der Produktion für die Politik wiedererlangt werden.

Przemysław Wielgosz

Przemysław Wielgosz ist Publizist, Schriftsteller und Mitherausgeber der Zeitschrift Lewa Noga. Vor kurzem erschien in Polen sein Buch „Opium der Globalisierung“. Sein Diskussionsbeitrag wurde aus dem Polnischen übersetzt von Kamil Majchrzak.

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