Archiv für Dezember 2006

Schwarzer Tag für Vermieterhaie

Samstag, 30. Dezember 2006

Jeudi Noire, Foto: Laurent Hazgui
Aktion von „Jeudi Noire“, Foto: Laurent Hazgui

von Emmanuelle Piriot (Text) und Laurent Hazgui (Fotos)

gleichzeitig erschienen in GraswurzelRevolution # 316 Februar 2007

Es ist ein sonniger Samstagnachmittag in Paris. Abseits betriebsamer Einkaufsstrassen schleichen drei junge Männer durch den V. Bezirk. Vor einem ansehnlichen Gebäude machen sie halt und schauen sich um. Es kommt keiner. Blitzartig laufen sie die Strasse wieder zurück. Ihr Verhalten hat etwas krimihaftes. Eine Strasse weiter empfängt sie eine andere Gruppe mit den Worten: „der Weg ist frei, los“. Mit fieberhaften Armbewegungen zeigen sie in eine Richtung. Passanten wissen nicht, ob sie um Hilfe schreien oder lachen sollten. Die AktivistInnen von „Jeudis noirs du logement“, der Bewegung Schwarzer Mietdonnerstag, versuchen schwarze Luftballons, Sektflaschen und Papp-Schilder zu verstecken. Dann verschwinden sie hinter einem grossen Einfahrtstor. Vor dem Eingang stellen sie eine Tafel auf: „Tagesmenü: 10m² für 500,- Euro“.

In der fünften Etage wird gerade eine sehr kleine, dafür aber sehr teure Wohnung angeboten. Gleichwohl haben sich mehr als zwanzig Personen für die vom Vermieter organisierte Besichtigung zusammengefunden. Dieser hatte mit disziplinierten Anwärtern gerechnet. Als die AktivistInnen des „Schwarzen Donnerstag“ mit viel Konfettis und Gebrüll die Wohnung stürmen bleibt der Vermieter sprachlos. Sektkorken knallen. Jemand spielt Musik. Eine fröhliche Menge tanzt.

„Bei der Aktion geht es darum, in einer Wohnung zu feiern, die sich keiner von uns leisten kann“, erklärt Julien, einer der Initiatoren von „Jeudi noirs“. „Damit wollen wir auf die Missstände auf dem Pariser Wohnungsmarkt hinweisen. Es ist ungeheuer schwer eine anständige Wohnung zu bekommen. Dies trifft insbesondere die Jugend. Als Student oder junger Arbeiter mit Mindestlohn, kann man den Vermietern kaum den erforderlichen Einkommensnachweis vorlegen. Dieses Problem, betrifft mehrere Tausend Menschen in dieser Stadt und wird dennoch von der Politik ignoriert.“ Seit Ende Oktober versucht die Initiative auf diese Art während Wohnungsbesichtigungen zu protestieren.

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Segen und Fluch der Erinnerung

Freitag, 15. Dezember 2006

General Jaruzelski, Foto: Jerzy Kośnik
General Jaruzelski verkündet im Fernsehen die Einführung des Kriegsrechts am 13. Dezmeber 1981, Fot. Jerzy Kośnik / ZP

POLEN VOR 25 JAHREN*Das von General Jaruzelski am 13. Dezember 1981 verhängte Kriegsrecht leitet die Restauration des Kapitalismus ein – die Gewerkschaft „Solidarnosc“ verliert den Charakter einer revolutionären Bewegung

gleichzeitig erschienen in Freitag # 50 vom 15.12.2006

von Przemysław Wielgosz

Seit dem Wahlsieg der Kaczynski-Brüder im Herbst 2005 tobt in Polen eine ideologische Schlacht. Sie gilt der Geschichte, doch nicht um der Geschichte willen, sondern um sich für kommende Jahrzehnte politisch legitimieren und rüsten zu können. Die national-konservative Front um die regierende Recht-und-Gerechtigkeits-Partei (PiS) wurde schließlich im Herbst 2005 nicht zuletzt dank ihrer wirtschaftlich antiliberalen Parolen an die Macht gehievt, als viel von einem „solidarischen Polen“ die Rede war.

Tatsächlich reicht es bei der PiS nicht einmal für die Wahrheit über die Solidarnosc vor 25 Jahren, auch wenn Lech und Jaroslaw Kaczynski so etwas wie Deutungshoheit über die damalige Gewerkschaft beanspruchen. Aus dem Unvermögen, die heftigen Konflikte der polnischen Gegenwart zu lösen, greifen sie dennoch nach unserer Geschichte und wünschen, als die einzig rechtmäßigen Erben der Solidarnosc anerkannt zu werden. Mit den Werten, für die in den Jahren 1980/81 gekämpft wurde, hat das freilich wenig zu tun.

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