»Wir rechnen im Wahlkampf nicht mit der Räumung«


Alexandre Archenoult, Foto: Kamil Majchrzak

Paris: Kulturinitiativen und Mietergruppen machen mit Besetzungen auf Wohnungsnot aufmerksam.

Das Gespräch führten Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak.

Eine Kurzversion ist gleichzeitig erschienen in Junge Welt vom 28.03.2007, S. 8

Alexandre Archenoult ist Aktivist der französischen Initiative Macaq (Bewegung für die kulturelle und künstlerische Belebung der Bezirke, macaq.org), die leerstehende Häuser besetzt, um alternativen Wohnraum zu schaffen.

Veranstaltungs-Hinweis: Das JournalistInnenkollektiv »Krise und Kritik« organisiert am 18. Mai um 19:00 Uhr im Bethanien eine Diskussions-Veranstaltung mit Aktivisten von Macaq und »Jeudi Noir« (Infos siehe unten).

Macaq besetzt derzeit mehrer Häuser in Paris. Welche Ziele verfolgt ihr mit Euren Aktionen?

Bis 2001 befand sich in diesem Gebäude ein sog. Start-Up Unternehmen, das zusammen mit dem Platzen der Seifenblase der New Economy gescheitert ist. Wir haben dieses Gebäude dann 6 Monate lang besetzt. Nach der Räumung bezogen wir andere Gebäude um unsere sozialen und kulturellen Aktivitäten weiter zu führen. Wir sind nach dem Prinzip eines sozialen Animationszentrums organisiert, nur wesentlich alternativer. Die Aktivitäten finden auf Grundlage des freien Austausches statt. Das heißt, die BewohnerInnen organisieren Seminare, Nachhilfeunterricht, etc. Diese sind kostenlos bzw. für einen symbolischen Beitrag für alle offen.
Inzwischen hat die Stadtverwaltung die Gebäude im XVII Bezirk erworben. Da wir aber gezeigt haben, dass wir in der Lage sind ein Zentrum selbst zu verwalten, hatte die Gemeinde eine Zwischennutzung akzeptiert. Nach einer Sanierung will die Stadt das Gebäude selbst verwalten.

Worin besteht der von Dir erwähnte Austausch?

Die BewohnerInnen, die KünstlerInnen, Theaterleute, ZeichnerInnen u. a. brauchen Räume für ihre Projekte. Es ist nicht einfach einen Raum in Paris zu mieten. Man muss dabei mit mindestens 35,- EUR pro Stunde rechnen. Wir bieten diese Räume unentgeltlich an, erwarten dafür aber Unterstützung bei der Verwaltung des Gebäudes und der Organisation von Veranstaltungen. Dadurch können wir dieses Zentrum mit sehr wenig Geld gemeinsam verwalten.

Ihr hättet auch die Stadtverwaltung um ein Gebäude bitten können? Warum besetzt ihr Häuser?

Kultur wird in Frankreich sehr administrativ und bürokratisch gehandhabt. Die Behörden wählen die zu fördernden Projekte lediglich anhand der eingereichten Unterlagen aus. Das läuft zumeist nur über gute Beziehungen. Oft nimmt das ganze Verfahren auch sehr viel Zeit in Anspruch. Es fehlt der Hauptsstadt einfach an Spontaneität. In der Vergangenheit haben wir bereits den offiziellen Weg versucht und nach Räumen angefragt. Eine Antwort haben wir aber nie bekommen. Deshalb erschien es uns notwendig sich die Räume selbst zu nehmen, sonst wäre nie etwas passiert. Solche Selbstverwalteten Orte sind sehr wichtig in Frankreich, weil hier generell alles sehr bürokratisch verwaltet wird. Eine Theaterveranstaltung ist aber eben nicht nur ein Projektvorschlag auf dem Papier. Man braucht dazu Orte die anders funktionieren, es mangelt auch an direkter Begegnung und Lust.

Fehlt in Paris eine soziokulturelle Infrastruktur?

Es gibt schon bestimmte Orte, aber diese sind sehr eng orientiert. Im Gegensatz dazu mangelt es an Orten, die sich an verschiedene Bedürfnisse und an unterschiedliche Menschen richten, Menschen mit einer anderen sozialen und kulturellen Herkunft oder Alter. Neben den Kneipen gibt es kaum Plätze der Begegnung unterschiedlicher Menschen. Wir versuchen Orte der Begegnung zu schaffen, wo die sozialen Beziehungen wieder im Vordergrund stehen und sich dort entwickeln können. Unser Zentrum soll durch die Leute aus dem Kiez verwaltet werden, von Menschen die ihre eigenen Projekte entfalten möchten oder einfach nicht zu Hause bleiben wollen. Die besetzten Gebäude sollen kollektive Aktivitäten ermöglichen.


Ministerium zur Lösung der Wohnungskriese in der Rue de la Banque, Foto: Kamil Majchrzak

Zusammen mit der Initiative „Jeudi-Noir“ und dem Verein DAL (l’association Droit au logement) habt ihr auch das sog. Ministerium zur Lösung der Wohnkrise (Ministère de la crise du logement) gegründet und dafür ein Haus besetzt. Dabei stehen nicht nur soziokulturelle Aktivitäten im Vordergrund, sondern die Denunzierung der Wohnungsnot in Paris. Warum nimmt Macaq an diesem Zusammenschluss teil?

Wir haben „Jeudi Noire“ während einer unangemeldeten Wohnungs-Besichtungs-Feier kennen gelernt. Auf diese spielerische Weise macht die Initiative aufmerksam auf die überhöhten Mieten und die Immobilienspekulation in Paris. Wir schlossen uns dieser Aktionsform an. Wir besetzten gemeinsam das sog. Ministerium zur Lösung der Wohnkrise um noch vor der kommenden Präsidentschaftswahl in Frankreich eine Diskussion darüber zu entfachen. Die PolitikerInnen müssen sich endlich mit diesem Thema auseinandersetzen. Macaq hat dabei langjährige Erfahrung bei dem Aufbrechen leer stehender Häuser, bei der Logistik der Besetzungen und den damit verbundenen juristischen Fragen. Wir besetzen derzeit insgesamt fünf Gebäude in Paris. Nur eins davon, dass sich im XVII Bezirk befindet wurde inzwischen legalisiert.


Feier bei unerschwinglicher Wohnungsbesichtigung,
Foto: Laurent Hazgui

In ganz Frankreich stehen ca. 2 Millionen Wohnungen leer. Ist die Wohnungskrise nur ein Problem einer mangelhaften Verteilung?

Nein. Für die Krise gibt es unterschiedliche Ursachen. Zunächst sind die Mieten im Vergleich zu den Löhnen viel zu hoch. Die Krise umfasst weiter auch so unterschiedliche Problembereiche wie mangelnde Notunterkünfte für Obdachlose, fehlende Studentenwohnheime bis hin zu einer unzureichenden Versorgung der Gemeinden mit Sozialwohnungen. Auch architektonische Probleme spielen hier eine Rolle. Mit einer politischen Diskussion hoffen wir gute Lösungen für alle Beteiligten zu finden: MieterInnen und Vermieter, die Stadtverwaltung und die BewohnerInnen.

Macaq, „Jeudi Noire“ sowie die Initiative der Obdachlosen am Kanal St. Martin „Kinder von Don Quichotte“ sind völlig neue Aktionsformen. Wie ist es Euch gelungen auf die Wohnungsnot in den Medien aufmerksam zu machen?

Traditionelle Organisationen wie Emmaüs, oder die DAL (l’association Droit au logement) weisen seit Jahren auf die sozialen Probleme und die Wohnungskrise hin. Dabei haben sie jedoch immer wieder die gleiche Sprache benutzt. Es fiel ihnen also schwer sich in den Medien durchzusetzen. Die genannten neuen Initiativen haben dies qualitativ geändert. Es ist dabei bemerkenswert, dass sie dabei gleichzeitig zu einer Art Transmissionsriemen für die traditionellen Vereine wurden. Letztendlich wissen wir aber, dass es noch ein langer Weg ist bis eine definitive Lösung der Probleme ereicht wird.

Kann man durch sog. Not-Requisitionen, also die Aneignung von Leerstand die Wohnungsprobleme lösen?

Es ist teilweise eine Lösung, aber eine unzureichende. Sie kann z.B. Abhilfe schaffen im Bereich der Notunterkünfte für Obdachlose. Die Besitzer müssen sehr wohl nachvollziehen können, dass es sowohl wirtschaftlich als auch sozial verantwortungslos ist Gebäude leer stehen zu lassen. Die sog. Notrequisitionen haben das Potential den Haus-Besitzern Angst zu machen und eine Preisspekulation bei den Mieten oder im Immobilienhandel zu verhindern. Der Staat hat im Übrigen ja auch das Recht Notrequisitionen durchzuführen. Von diesem macht er aber nur selten Gebrauch. Eine Überlegung wert ist auch die Vorstellung, dass ja auch die lokalen Behörden solche Requisitionen durchführen könnten, um so die leer stehenden Gebäude in Sozialwohnungen umzufunktionieren. Viele Bürgermeister in Frankreich verhindern seit langem den gesetzlich vorgeschriebenen sozialen Wohnungsbau. Dies hängt damit zusammen, dass dessen BewohnerInnen über niedrigere Löhne verfügen und eher geneigt sind Links zu wählen. Deshalb können sich konservative Bürgermeister mit der Idee von Sozialwohnungen nicht so richtig anfreunden. Es gibt aber auch solche Gemeinden die gerne Sozialwohnungen bauen würden, aber Schwierigkeiten haben dafür Grundstücke oder Gebäude zu erwerben. Sog. Not-Requisitionen könnten hier eine Veränderung bringen.

Wie habt ihr das von Euch geschaffene „Ministerium“, ein riesiges Gebäude im Pariser Bankenviertel aufgebrochen?

Freunde hatten uns auf dieses, seit drei Jahren leer stehende Gebäude aufmerksam gemacht. Nach unseren Recherchen ergab sich, dass das Haus einer Bank gehört. Wir haben uns das Gebäude angeschaut und stellten fest, dass es nicht so schwierig ist rein zu kommen. Diese Besetzung war für uns symbolisch. Das Gebäude gehört der Bankengruppe CIC. Es befindet sich Mitten in Paris, direkt neben der alten Börse. Ein guter Ort um auf den Zusammenhang zwischen der Spekulation und dem Börsencrashs von 1929 hinzuweisen worauf der Name „Jeudi Noire“ [„Schwarzer Donnerstag“] anspielt. Glücklicherweise befindet sich auf der anderen Straßenseite zugleich auch die französische Presseagentur AFP.

Gibt es ein juristisches Nachspiel zu dieser Besetzung?

Natürlich, wie bei jedem Gebäude. Teilweise richten sich die Verfahren gegen den Verein Macaq selbst. In solchen Fällen besteht das Risiko, dass sehr schnell geräumt wird. Richtet sich dagegen die Klage gegen die BewohnerInnen, ist es nicht mehr so einfach diese vor die Tür zu setzten. Bei den Besetzungen beschädigen wir nie das Gebäude. Im Gegenteil, oft wird es von uns sogar saniert. Dies dokumentieren wir auch fotographisch. Die Klagen richten sich deshalb meistens nur wegen Hausfriedensbruchs.

Die Staatsanwaltschaft hat entschieden, dass das Gebäude des sog. Ministeriums am 10. April geräumt werden soll. Was werdet ihr danach machen?

Derzeit finden in Frankreich Wahlkämpfe statt. Es besteht also ein geringes Risiko, dass ein Präsidentschaftskandidat noch vor der Wahl eine Räumung anordnet. Dies würde für ihn zu einem medialen Debakel führen. So werden wir aller Voraussicht nah in dem Haus bis Juni -bis die Wahlen abgehalten wurden- in dem Haus bleiben können. Außerdem hat die Stadtverwaltung die Absicht das Gebäude zu erwerben. Deshalb besteht auch etwas Hoffnung, dass wir in dem Haus auch länger bleiben können. Auf jeden Fall werden wir alles Mögliche unternehmen, damit die derzeitigen BewohnerInnen des Hauses: die MigrantInnenfamilien mit Kindern, StudentInnen und ArberiterInnen die sich keine Wohnung leisten oder finden können langfristig in ordentliche Sozialwohnungen umziehen können.

Das Gespräch führten Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak
Homepage von Macaq: http://www.macaq.org/

Homepage Jeudi-Noir: http://www.jeudi-noir.org/

VERANSTALTUNGS-Hinweis:
Das JournalistInnen-Kollektiv „Krise und Kritik“ lädt zu einem Gespräch mit französischen HausbesetzerInnen von „Jeudi-Noir“ und „Macaq“ ein. Wir wollen über Widerstandsformen diskutieren und gemeinsame Erfahrungen austauschen.

Die AktivistInnen berichten über ihre spektakulären Aktionen gegen die Wohnungsnot in Paris, wie die Besetzung einer Bank mitten in der französischen Hauptstadt oder Störaktionen bei Besichtigungen von unbezahlbaren Wohnungen. Anschliesend Filmvorführung zu den Besetzungen und Soli-VoKü. Eintritt frei.

Wann: 18.05.2007 um 19:00 Uhr

Wo: New York – Bethanien (linker Seitenflügel), Marianneplatz 2, Berlin-Kreuzberg

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