Archiv für April 2007

Qu’y a-t-il de si grave à cela ?

Freitag, 27. April 2007

Motif de vengeance. La nouvelle loi polonaise de « lustration » et l’affaire du survivant de l’holocauste et philosophe Zygmunt Bauman.

par Kamil Majchrzak

Une épée de Damoclès plane sur les têtes des députés polonais et des hommes politiques en général, sur celles des fonctionnaires et des juges, des dirigeants d’entreprises publiques, des journalistes et des enseignants. Elle s’appelle la loi de « lustration ». En vertu de cette loi, quelque 700000 Polonais ont jusqu’au 15 mai pour déclarer par écrit s’ils ont collaboré ou non avec les services de sécurité de l’Etat entre 1944 et 1990. Initiée par le gouvernement Kaczynski, une radioscopie des biographies a commencé, qui s’apparente à une chasse aux sorcières.

S’abritant derrière la façade d’un Etat démocratique, l’actuel gouvernement polonais renoue avec les chapitres les plus sombres de l’histoire. Le triumvirat de la droite conservatrice, les jumeaux Kaczynski et le ministre de l’éducation du parti de la ligue des familles polonaises (LPR) Roman Giertych, héritier -selon ses propres dires- de Solidarnosc, s’affaire en ce moment à détruire la sphère publique et à assècher toutes les sources permettant une libre formation de l’esprit. Le sommet de l’Etat polonais incarne ce qu’Hannah Arendt avait qualifié de plus petit dénominateur commun entre une société moderne bourgeoise et un pouvoir totalitaire.

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Was ist so schlimm daran?

Donnerstag, 26. April 2007

von Kamil Majchrzak

Gleichzeitig erschienen im Freitag # 17 vom 27.04.2007

MOTIV RACHE*Polens neues Lustrationsgesetz und der Fall des Holocaust-Überlebenden und Philosophen Zygmunt Bauman

Ein Damoklesschwert schwebt über Sejm-Abgeordneten, polnischen Politikern überhaupt, über Beamten und Richtern, den Chefs staatlicher Unternehmen, Journalisten sowie Pädagogen – und nennt sich Lustrationsgesetz. Danach müssen bis zum 15. Mai etwa 700.000 Polen schriftlich erklären, ob sie zwischen 1945 und 1989 für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet haben oder nicht. Angestoßen von der Kaczynski-Regierung hat eine Durchleuchtung von Biografien begonnen, die teilweise an eine Hexenjagd erinnert.

Hinter der Fassade eines demokratischen Staates kehrt die derzeitige polnische Regierung zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte zurück. Das rechtskonservative Triumvirat der Kaczynski-Zwillinge und des Bildungsministers Roman Giertych von der Liga Polnischer Familien (LPR), das – nach eigener Wahrnehmung – das Solidarnosc-Erbe angetreten hat, ist gerade damit beschäftigt, die öffentliche Sphäre zu zerstören und all jene Quellen auszutrocknen, die eine freie Willensbildung ermöglichen. Diese Regierungsspitze verkörpert, was Hannah Arendt einst den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen moderner bürgerlicher Gesellschaft und totaler Herrschaft nannte.

Die in Polen tobende antikommunistische Hexenjagd wird auch nach Deutschland exportiert, wie die jüngsten Attacken auf den polnisch-jüdischen Philosophen Zygmunt Bauman erkennen lassen. Die Angriffe gegen ihn sind exemplarisch dafür, wie der öffentliche Raum als Ursprung eines politischen Handelns, das sich im Arendtschen Sinne gegen blinden Konformismus richtet, über Polen hinaus zu erodieren droht, weil viele Intellektuelle im Westen die antikommunistische Paranoia lediglich für polnische Folklore halten.
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Frankreich sucht den Superstar. Zur Präsidentschaftswahl am Sonntag

Samstag, 21. April 2007

von Emmanuelle Piriot, Paris

Gleichzeitig erschienen in der Jungen Welt vom 21.04.2007

Am Sonntag entscheiden sich die Franzosen für zwei von zwölf Präsidentschaftskandidaten. Stilfragen sind wichtiger als Ideen oder Überzeugungen. Die Hauptdarsteller Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy setzen auf persönliche Ausstrahlung, nicht auf die Marketing­argumente ihrer Parteien. Sarkozy zitiert hin und wieder Linke wie Jean Jaurès, gibt ansonsten den autoritären Aktionspolitiker. »Wer will, der kann«, ist sein Motto: »Jeder ist für sich alleine da, Gott für alle«. Warum er ein harter Hund ist, erklärte er am Tag der Bekanntgabe seiner Kandidatur: »Heute habe ich verstanden, daß nur Unglücke und Gebrechlichkeiten stark machen.« Eine Anspielung auf seine Eheprobleme, die den Chefredakteur des Boulevardblatts Paris-Match, das ein Foto von Sarkozys Ehefrau mit Liebhaber brachte, den Job kosteten.

Als Echo der rechten Rhetorik kritisiert Royal nicht nur die von den Sozialisten durchgesetzte Arbeitszeitverkürzung. Sie agiert weitgehend abseits des Programms ihrer Partei. Das Bild, das sie abgibt, ist aus der Seifenoper: erfolgreiche, hübsche Hausfrau, Mutter von vier Kindern. Daß sie im Schatten ihres Mannes François Hollande, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Politkarriere gemacht hat, sagen nur Sexisten. Hollande wurde vor ihr als Kandidat gehandelt. Die medienpolitischen Spielregeln forderten anderes. Nach Gutsherrenmanier listete Royal im Rahmen einer »partizipativen Debatte« alle Probleme der Franzosen auf. Was Sie mit dieser Liste von Klagen vorhat, weiß keiner. Angeblich werden die Bürger an der Macht beteiligt, können alle Präsident werden. Royals Wahlkampf-Motto: »Frankreich als Präsident«.

Wie bei der TV-Show »Frankreich sucht den Superstar« ordnen sich die Kandidaten den Spielregeln der Medien unter, absolvieren »Pflichtübungen«.

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Wer sind die wahren Franzosen?

Freitag, 20. April 2007

Der Pariser Soziologe Mathieu Rigouste im Gespräch mit Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak über eine Integrationsdebatte in Frankreich, die für Nachschub an Feindbildern und Vorurteilen sorgt

gleichzeitig erschienen in Freitag # 16 vom 20.04.07

FREITAG: Spricht man heute in Frankreich über Ausländer, ist immer von Integration die Rede. Wann ist dieser Begriff eigentlich entstanden?

MATHIEU RIGOUSTE: In der Kolonialzeit. Damals meinte Integration ein juristisches System, das den Kolonisierten ein Statut geben sollte. Dann wurde der Begriff bis Ende der siebziger Jahre nicht mehr verwendet, bis man realisierte, die Immigranten werden dauerhaft im Land bleiben und ihre Kinder damit Franzosen sein. Seither wird wieder von Integration gesprochen, als gelte es von Neuem, eine Grenze zwischen den Franzosen zu ziehen.

Warum geschieht das?

Weil schon immer ökonomische Krisen die Neigung heraufbeschworen haben, Immigranten mit Arbeitslosen gleichzusetzen. Außerdem warf 1979 die Revolution im Iran die Frage auf, ob die französischen Muslime treu zur Regierung in Paris stehen oder eher einer fremden islamischen Macht folgen. Seinerzeit versuchte Frankreich, die Republik neu zu definieren: Wer sind die wahren Franzosen? Wer ist loyal? Wer bedroht die Integrität des Staates? Die Französische Republik zog es vor, sich vorzugsweise im Verhältnis zu ihren mutmaßlichen Feinden zu definieren. Dabei wurde – gemessen an der Kolonialzeit – die Vorstellung von Integration komplett umgekehrt, und daran hat sich bis heute nichts geändert: Man will die Anderen nicht mehr aufnehmen und ihnen Rechte geben – man verlangt, dass sie sich einer souveränen Ordnung unterwerfen: der Republik.

Gibt es objektive Kriterien für dieses Verständnis von Integration?

Nein. Integration ist ein komplett subjektiver Begriff. Wir können als Sozialwissenschaftler untersuchen, wie ein Migrant kämpft und wie er beherrscht wird. Wenn wir uns aber mit der Integration beschäftigen, dann müssen wir die dominanten Diskurse über Integration beleuchten. Denn sie bestimmen, mit wem man verhandeln und kooperieren kann – und wen man betreuen oder überwachen, einschließen oder ausstoßen wird.

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Schulausgang ungewiss

Mittwoch, 04. April 2007


Proteste gegen Abschiebungen in Paris, Foto: Laurent Hazgui

Eltern und Lehrer wehren sich gegen die Jagd der Pariser Polizei nach Kindern illegaler Einwanderer vor Schulen. Nach einer Blockade vor einer Grundschule wurde eine Schuldirektorin festgenommen.

von Emmanuelle Piriot und Kamil Majchrzak

gleichzeitig erschienen in Jungle World # 14 vom 4.03.2007 und Freitag # 16 vom 20.04.07 (Kurzversionen in Junge Welt und Neues Deutschland vom 3.03.2007)

Erschrockene Kinder, Schreie, Pfiffe, Eltern, die sich vor fahrende Polizeifahrzeuge werfen – ein Schreckensszenario, das sich in den vergangenen Wochen mehrfach vor den Eingängen verschiedener Pariser Grundschulen abgespielt hat. Hintergrund ist die Praxis der französischen Polizei, so genannte illegale Migranten, also Menschen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis, durch Festnahme ihrer Kinder beim Verlassen der Schule zur Ausreise zu zwingen.

Am Dienstag, den 20. März, wurde während einer solchen rafle – wörtlich »Jagd« –, ein chinesischer Einwanderer festgenommen. Er wartete mit anderen Eltern in einem Café im multikulturellen Stadtteil Belleville, dem Chinatown von Paris. Seine Enkelkinder gehen auf die École Rampal, eine Grundschule auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Plötzlich stürmte die Polizei das Lokal und führte bei allen Gästen eine Ausweiskontrolle durch.
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