Globalisierung im Taschenformat
Statt zum Trendquartier wird das Wohnviertel St.Johann zum gespaltenen Sozialraum
von Kamil Majchrzak
gleichzeitig erschienen in Basler Stadtbuch 2007
Durch den Umbau des alten Arbeiterquartiers St. Johann wird der Wechsel von der Chemieproduktion zur Finanz- und Dienstleistungswirtschaft sichtbar. Das Quartier verliert dabei nicht nur günstige Wohnungen, sondern mit den fortziehenden Menschen auch seinen Charakter.
Es gibt Quartiere, an denen lässt sich die wirtschaftliche Entwicklung einer Region ablesen, oder es lassen sich gar Tendenzen der gesamten Volkswirtschaft nachzeichnen. Das Wohnviertel St. Johann in Basel Nord ist eng mit der Entwicklung der Stadt als Chemiestandort verknüpft. Das Quartier ist aber nicht einfach ein Arbeiterviertel, sondern seit ehedem ein Ort, wo Menschen aus verschiedensten Herkunftsländern und Kulturen leben und arbeiten. Der gegenwärtig stattfindende Umbau des Quartiers spiegelt zugleich die sozialen Konflikte und die Machtverhältnisse wider.
Das St. Johannsquartier ist das einzige in Basel in dem der Wohnungsbestand seit Mitte der 90er Jahre stetig abgenommen hat. Parallel dazu sank seit Anfang der 90er Jahre auch die Anzahl der Beschäftigten kontinuierlich.
Die sogenannten Life Sciences, an deren Spitze die Pharmariesen Novartis, Roche und Syngenta stehen, erwirtschaften mit ihren Zulieferern 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts des Basler Stadtkantons. Die Finanzdienstleistungen und Versicherungen machen einen weiteren beträchtlichen Teil des kantonalen Haushalts aus. Die 2005 beschlossene Totalrevision der Kantonsverfassung stehe denn auch im Zeichen einer effizienten Zusammenarbeit des Kantons mit der Privatwirtschaft, meint Samuel Hess vom Wirtschafts- und Sozialdepartement. Doch von der Wertschöpfung dieser Zusammenarbeit profitieren nur wenige im Quartier. Dies ist nicht zuletzt eine Konsequenz daraus, dass der Stadtumbau sich nicht so sehr an den Bedürfnissen seiner Bewohner, sondern an der Attraktivität als Wirtschaftsstandort orientiert.
Für diese Entwicklung steht symbolisch der Bau des Novartis Campus. Ein repräsentativer Firmensitz und ein Forschungszentrum in einer abgegrenzten Stadt in der Stadt. Die Architektur und Raumgestaltung sollen ein subjektives Sicherheitsgefühl vermitteln.
Mit grossflächigen Glasfassaden und breit gestalteten Zufahrten wird Transparenz vorgespiegelt auf einem Gelände, das durch einen privaten Sicherheitsdienst bewacht wird, der über einen unterirdischen Übungs-Schiessstand – für Notfälle – verfügt.
Dabei sind es gerade Multikulturalität, Offenheit und soziales Engagement, die den Reiz des Stadtteils St. Johann ausmachen. Die Basler Gemeinwesenforscherin Gabi Hangartner, die verschiedene Entwicklungsszenarien beim Umbau des St. Johannquartiers untersuchte, kritisiert denn auch den Verlust dieser Stärken: Menschen, die temporär als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Novartis kamen, zeigten kein Interesse, sich im Quartier zu integrieren. «Die Energie des Campus geht nach innen, sie ist hierarchisch strukturiert wie eine Firma, ein Quartier ist aber ein loses Netzwerk», schreibt Hangartner in ihrem gerade erschienenen Buch ‹Urbanes Trendquartier oder gespaltener Sozialraum?›. Das Quartier sei dabei sich zu zersetzen: «Künstler ziehen weg, da die Ateliers teurer werden, aber auch Familien mit Kindern, weil die Mieten steigen oder sie der ewigen Baustelle am Voltaplatz entkommen wollen.»
Die architektonische Gestaltung sozialer Räume und deren sichtbare Abgrenzung von dem Leben und den Beziehungen im Quartier spiegeln zugleich die sozialen Beziehungen und die Lebensqualität in einer globalisierten Welt wieder.
Kritik am Vorgehen der Stadt wird nicht geschätzt. Und doch gibt es Menschen, die aufbegehren. Ein Höhepunkt des Widerstandes, eine Art Bewegung zur Schaffung von ‹Gegen-Räumen› war am 1. Mai 2007 die Besetzung des seit mehreren Jahren leer stehenden Hotels ‹Steinengraben› in der Nähe des St. Johannquartiers. Die Aktion, an der sich rund hundert junge Menschen beteiligten, erregte Aufsehen. «Wir wollten auf die prekäreWohnungssituation aufmerksam machen», erzählt eine der Hausbesetzerinnen, eine 25-jährige Kunststudentin. Die Basler Hausbesetzerszene hat einen festen Kern von mehr als fünfzig Personen. Sie ist gerade in den Quartieren aktiv, die besonders von der derzeitigen Wohnungspolitik betroffen sind. Seit Jahren versucht sie, ein alternatives Wohn- und Kulturzentrum aufzubauen. Teilweise ist dies auch gelungen. Doch solche Häuser im St. Johann wie die ‹Elsie› oder ‹die Hagi› wurden inzwischen abgerissen. Weitere Besetzungen endeten immer mit der sofortigen Räumung und der Einleitung von Strafverfahren.
Mit der intensiven Bautätigkeit in Basels sozialschwachen Quartieren wird ein Paradigmenwechsel in der kommunalen Wohnungs- und Sozialpolitik sichtbar. Vor dem Hintergrund des Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen wird soziale Verantwortung leicht zum störenden Kostenfaktor.
Anmerkung
1 Hangartner, Gabi: Urbanes Trendquartier oder gespaltener Sozialraum? Szenarien möglicher Auswirkungen des Novartis Campus auf das Basler St. Johann Quartier als Sozialraum. Neu-Ulm 2007.