Archiv für Juni 2009

Soziale Bewegung oder revolutionäre Avantgarde?

Mittwoch, 17. Juni 2009

Interview mit Jean-Marc Rouillan (Mitgründer der Action Directe/AD),  gleichzeitig erschienen in telegraph # 118|119 (2009)

Wie kam es zu Ihrer Inhaftierung! Wie sahen die strafrechtliche Verfolgung und die mediale Kampagne gegen Sie aus?

JEAN-MARC ROUILLAN: Nathalie, Joëlle, Georges und ich waren im Februar 1987 die letzten Mitglieder der Action Directe die verhaftet wurden. Im Zusammenhang mit der polizeilichen Verfolgung, den Gerichtsprozessen und unseren speziellen Haftbedingungen haben sich neue staatliche Strukturen im „Kampf gegen den Terrorismus“ in Frankreich durchgesetzt. Wir befanden uns damals noch in der Zeit des zweiten Kalten Krieges und am Beginn der grundlegenden Veränderungen von 1989. Es ist sehr wichtig diesen politischen Kontext zu begreifen, um den staatlichen Eifer gegen uns zu verstehen.

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Polens dorniger Weg in den Kapitalismus

Mittwoch, 17. Juni 2009

von Tadeusz Kowalik, gleichzeitig erschienen in telegraph # 118|119 (2009)

Innere Bedingungen

Polen hat die politische Konjunktur des Umbruchs zwischen den Achtziger und Neunziger Jahren ganz gut genutzt. Das sowjetische Imperium neigte sich mit dem liberalen Michael Gorbatschow an der Spitze dem Niedergang zu. Dies eröffnete die Chance sich aus der Abhängigkeit zu befreien und das morsche System abzustreifen, das Polen zur fortwährenden Stagnation und politischen Konvulsionen verurteilte. Eine sehr gute Grundlage dafür bildete die Kultur von Verhandlungen und gesellschaftlichen Übereinkommen, die 1980/81 erprobt wurden. Das Übereinkommen des Runden Tisches vom Frühjahr 1989 bildete die Grundlage für Polens friedlichen Wechsel vom bürokratischen Sozialismus. Auf diese Weise wurden auch Grundlagen für friedliche Veränderungen in den anderen postkommunistischen Ländern [1] geschaffen.

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1968, die Komandosi und die Arbeiterselbstverwaltung in Polen

Mittwoch, 17. Juni 2009

Gespräch mit Karol Modzelewski

gleichzeitig erschienen in telegraph # 118|119 (2009)

Sie werden für einen der „geistigen Väter“ der Polnischen März-Unruhen im März 1968 gehalten. Die Veröffentlichung des Offenen Briefs an die Partei, den Sie gemeinsam mit Jacek Kuron verfassten, initiierte einen Ereigniszyklus, der seinen Höhepunkt in den Studentendemonstrationen fand. Was waren die Ziele der Studentenproteste im März 1968? Worin bestand die Verbindung dieser Bewegung zu den Forderungen des Offenen Briefs?

KAROL MODZELEWSKI: Es waren andere Ziele, die wir uns mit Jacek Kuron beim Verfassen des Offenen Briefes an die Partei stellten, als die, welche anschließend von der Studentenbewegung im Jahre 1968 gestellt wurden. Es triff zu, dass sowohl ich als auch Jacek Kuron zu Hauptangeklagten wurden, da die Staatsanwaltschaft uns diesen Vorwurf machte.

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Pazifizierung des Widerstandes oder wie der Osten kolonisiert wird

Mittwoch, 17. Juni 2009

von Kamil Majchrzak, gleichzeitig erschienen in telegraph # 118/119 (2009)

Alle reden von Krise. Doch der gegenwärtige Alltag scheint noch einmal zu bestätigen, was das Kapital seit jeher behauptet: Dieses System sei ohne Alternative, Krisen sollen lediglich die notwendige Erneuerung mit sich bringen. Eine Flurbereinigung? Auf den ersten Blick geht die Kapitalseite durch Rettungspakete und Milliarden-Hilfen des Staates bei gleichzeitiger Entlassung tausender Arbeiter aus der Krise gestärkt hervor. Doch warum erheben sich diese nicht? Die maßgeblichen gelben Gewerkschaften fordern lediglich das, was die Regierung selbst bereit ist vorzuschlagen. Das System wird nicht in Frage gestellt.

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Polen: Gewerkschaftssitzungen zwischen den Regalen

Montag, 15. Juni 2009

von Kamil Majchrzak

gleichzeitig erschienen in Prager Frühling # 04 Juni 2009

Durch die globale Krise ist Osteuropa in mehrfacher Hinsicht doppelt belastet. Verstärkte Exportprobleme, Wechselkursabwertungen, Kreditklemme und das Versickern von Kapitalzuflüssen werden vorwiegend durch Entlassungen bzw. Lohneinfrierung zu beheben versucht. Während große Gewerkschaften in Polen versagt haben Widerstand zu leisten geben kleinere kämpferische Gewerkschaften insbesondere prekär Beschäftigten neue Hoffnung.

In den vergangenen Jahren galt Polen als Musterschüler neoliberaler Ökonomie. Die Schocktherapie von Leszek Balcerowicz Anfang der 90er Jahre zerstörte die Reste zivilgesellschaftlichen und sozialen Engagements, das bereits zuvor in den 80er Jahren während des Kriegszustandes und der Illegalisierung der Gewerkschaft NSZZ Solidarność wirksam gebrochen wurde. Die universelle Eschatologie der (Markt) Freiheit wies schon während der Verhandlungen des Runden Tisches, die seit 1988 inoffiziell geführt wurden, einen Schönheitsfehler auf, der auf den grünen Dollar-Noten nicht mitgedruckt wurde. Denn mit dem „Ausbruch“ der Freiheit geriet auch die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften und der Arbeiterkämpfe in Frage.

Paradoxerweise ist Polen, das durch die Streiks vom Sommer 1980 den Grundstein für spätere System-Umwälzungen in Mittel-Ost-Europa legte heute das Land mit dem höchsten Mangel an politischer Repräsentation der Arbeiterklasse. Gewerkschaften können in Polen nicht einmal eine bruchhafte oder deformierte politische Vertretung ihrer Interessen im Parlament vorweisen. Was noch schlimmer wiegt ist die selbstverschuldete Unmündigkeit und Korrumpiertheit der postkommunistischen OPZZ und der konservativen Solidarność.

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Zum NATO-Oberbefehlshaber qualifiziert

Donnerstag, 04. Juni 2009

von Kamil Majchrzak

gleichzeitig erschienen in Ossietzky # 11 (2009)

Gelegentlich erlaubt sich der General einen kleinen Scherz. Bantz John Craddock, von 2004 bis 2006 Chef des US-Southern Command und weisungsberechtigt gegenüber US-Truppen in Guantánamo, darunter der berüchtigten Immidiate Reaction Force (IRF), sagte im Gespräch mit dem Time Magazine, die hungerstreikenden Gefangenen dort könnten sich die Farbe der großen Sonden, mit denen ihnen bei der Zwangsernährung eineinhalb Liter Nahrung durch die Nase in den Magen eingeführt werden, selber aussuchen. Und der Stuhl, an dem sie festgeschnallt würden, sei eigentlich sehr komfortabel. Nach Angaben des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin war es Craddock, der die Zwangsernährung anordnete. Gemeinsam mit dem New Yorker Center for Constitutional Rights (CCR) und der Fedération Internationale de Ligues des Droits de l’Homme (FIDH) in Paris hat das ECCHR eine Beschwerde wegen Folter und grausamer Behandlung von Gefangenen bei den Vereinten Nationen gegen Craddock eingereicht, der inzwischen zum Oberbefehlshaber der NATO aufgestiegen ist.
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