Ohne uns – Die Bundesregierung lehnt eine finanzielle Beteiligung an der Gedenkstatte fiir das ehemalige Vernichtungslager Sobibor ab
von Kamil Majchrzak, gleichzeitig erschienen in Konkret # 11/2013, S. 35
Es waren »außergewöhnliche Umstande«, auf die sich Philip Bialowitz bezog, als er seinen Besuch bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Berlin dazu nutzte, Bundestagspräsident Lammert (CDU) einen Brief zu überreichen, in dem er um »Unterstützung für das Projekt der neuen Gedenkstätte im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Sobibor« bittet. Der aus dem ost-polnischen Schtetl Izbica stammende Bialowitz ist einer der letzten Überlebenden des Vernichtungslagers; er war aktiv an den Aufstandsvorbereitungen beteiligt, die zur Selbstbefreiung zahlreicher jüdischer Haftlinge am 14. Oktober 1943 führten. Nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943 ist der Aufstand in Sobibor eine der größten und erfolgreichsten bewaffneten Erhebungen der Juden gegen die Nazis und ihre Vernichtungspolitik gewesen.
Mit » außergewöhnliche Umstanden« umschrieb Bialowitz euphemistisch die systematischen Lügen der Bundesregierung, mit denen sie sich der Verantwortung für die Gedenkstatte entledigen will. Es ist bezeichnend, dass ein jüdischer Holocaust-Überlebender sich genötigt sieht, nach Deutschland zu kommen, um dem exkulpatorischen und revisionistischen Treiben der Deutschen entgegenzutreten.
In der Bundestagsdebatte vom 26. Januar 2012 war mit Blick auf die geplante Sobibor-Gedenkstätte behauptet worden, dass »die polnische Seite zu keinem Zeitpunkt um Hilfe ersucht« habe. Damit wurden die Abgeordneten nicht nur falsch informiert, sondern auch der Antrag der Bundestagsfraktion der Linken (»Erhalt der Gedenkstatten nationalsozialistischer Vernichtungslager sicherstellen« – BT-Drs. 17/ 7028) als gegenstandslos abgeschmettert. Vor dem Hintergrund der vorübergehenden Schließung des Museums der Gedenkstätte in Sobibor hatte die Linke den Bundestag darauf festlegen wollen, dass »der Erhalt und die Unterhaltung der Gedenkstatten der in deutscher Verantwortung in Polen errichteten Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau, Chełmno, Majdanek, Sobibor und Treblinka … zu den zentralen Aufgaben deutscher Erinnerungspolitik« gehören.
In dieser Bundestagsdebatte hatte die deutsche Regierung versucht, die Verantwortung für den Erhalt der Gedenkstätten jenen Staaten aufzubürden, in denen sie sich heute befinden. Thomas Strobl (CDU) lehnte jegliche finanzielle Verantwortung mit einer bigotten Begründung ab: »Polen ist ein starker Partner Deutschlands, kein hilfsbedürftiger Kostengänger.« Patrick Kurth (FDP) fügte ebenso bigott hinzu: »Das gehört sich für uns als Deutsche nicht. Polen hat unser Vertrauen. Das Land betreibt hervorragende Gedenkstättenarbeit. Das gilt auch für Sobibor.«
Damit wurde die Theresienstädter Erklärung von 2009, ein Ergebnis der Prager Konferenz über Holocaust-Vermögenswerte, in ihr Gegenteil verkehrt. Cornelia Pieper (FDP), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, behauptete, dass die Theresienstädter Erklärung »Richtschnur für unser Handeln« sei und darin »der Erhalt von Gedenkstatten und jüdischen Friedhöfen grundsätzlich die Aufgabe des Landes ist, in dem sie liegen«. Dabei übersah sie großzügig den Kontext der dort festgeschriebenen Verantwortung einzelner Staaten für die Restitution jüdischen Eigentums (!) und verwandelte die Zuständigkeit für die Erinnerung an den Holocaust in eine Angelegenheit der von den Deutschen überfallenen und besetzten Länder. In der Bundestagsdebatte verlautbarte Pieper: »Polen hat uns ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht will, dass Deutschland in diesem Fail an diesem Projekt beteiligt ist.« In einem Beitrag des ARD-Magazins »Kontraste« (September 2013) setzte sie noch einen drauf und stellte fest: »Man hat uns gesagt, dass man bis jetzt Projekte in Sobibor mit anderen Partnern vorbereitet, also mit den Ländern, die davon betroffen waren, die dort auch Inhaftierte hatten. Da war Deutschland nicht dabei.«
Offenbar hat Pieper vergessen, dass die Deutschen nicht nur mit ihren SS-Wachmannschaften »dabei waren«. Im Vernichtungslager Sobibor wurden nach unterschiedlichen Schatzungen etwa 20.000 deutsche Juden mit Motorabgasen erstickt; insgesamt wurden dort etwa 250.000 europäische Juden von deutschen Tätern ermordet.
Im Januar 2013 wurde eine internationale Ausschreibung für das neue architektonische Konzept der Gedenkstatte verabredet. Ihr Budget beläuft sich auf umgerechnet rund drei Millionen Euro, davon haben die Niederlande bereits eine Million, Polen 600.000, die Slowakei 150.000 Euro zugesagt; auch Israel wird sich finanziell beteiligen. Deutschland aber verweigert sich.
Bereits Ende Januar dieses Jahres hat sich Piotr Żuchowski, polnischer Vize-Kultusminister, an den deutschen Botschafter in Warschau schriftlich mit der Bitte um finanzielle und konzeptionelle Unterstützung für die neue Sobibor-Gedenkstätte gewandt. Der Botschafter hatte zuvor an einer Diskussion über die künftige Gestaltung der Gedenkstatte im Kultusministerium teilgenommen, wo er über die Ergebnisse der internationalen Ausschreibung des Architektur-Wettbewerbs informiert worden war.
Der zuständige Vertreter der Abteilung für Nationales Erbe im polnischen Kultusministerium, Jan Łazicki, bestätigte gegenüber KONKRET, dass ihm unbekannt sei, »dass die Teilnahme an der internationalen Gedenkstatte Sobibor exklusiv und bestimmten Partnern verschlossen ist«. Schon in der Vorbereitungsphase im Jahr 2012 hatte sich die »Stiftung polnisch-deutsche Aussöhnung« als Koordinatorin des Projekts um eine Erweiterung des Kreises der teilnehmenden Länder bemüht. Die Bundesregierung aber hat von Beginn an bei diesbezüglichen Gesprächen ihr grundsätzliches Desinteresse bekundet.
Dariusz Pawłoś (»Stiftung polnisch-deutsche Aussöhnung«) erklärte, dass die an dem Projekt teilnehmenden Staaten Israel, Niederlande, Slowakei und Polen auch nicht extra eingeladen wurden, sondern auf eigene Initiative handelten: »Das Projekt stand von Anfang an als eine internationale Initiative im Werden allen offen. So war auch Tschechien anfangs dabei, musste jedoch aufgrund der Finanzkrise seine Teilnahme absagen.«
Das mittlerweile brachiale Bemühen Deutschlands um einen erinnerungspolitischen Schlussstrich belegt auch die Verhinderung einer Studienreise von Abgeordneten des Deutschen Bundestags nach Sobibor. Die 2012 von Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen) vorbereitete Reise wurde durch das Auswärtige Amt aus, wie es hieß, terminlichen Gründen abgesagt. Seit einem Jahr konnte selbst angesichts des 70. Jahrestags der Selbstbefreiung der Haftlinge aus dem Vernichtungslager kein neuer Termin gefunden werden.
Im Frühjahr dieses Jahres hat die Bundesstiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« einen Antrag auf Ehrung der von der Reichsbahn nach Sobibor transportierten Juden, darunter auch Tausende deutsch-jüdische Kinder und Exilanten, die in den Niederlanden Zuflucht gesucht hatten, abgelehnt. Die Initiative »Zug der Erinnerung« hat im Juli 2013 erfolglos versucht, einen zweiten Förderantrag zu stellen, der 80 deutschen Jugendlichen eine Fahrt zu den Sobibor-Feierlichkeiten ermöglichen sollte. Dies hat die Bundesregierung offensichtlich nicht gewünscht. So sollen denn auch bei der jüngsten Konferenz der »Stiftung polnisch-deutsche Aussöhnung« Anfang Oktober lediglich privat angereiste Vertreter/innen deutscher NGOs, die in der Erinnerungsarbeit engagiert sind, dem polnischen Kulturminister Bogdan Zdrojewski und dem Auschwitz-Überlebenden Bartoszewski, dem Bevollmächtigten der polnischen Regierung für Internationalen Dialog, gegenüber.
Thomas Strobl hat die deutsche Erinnerungsarbeit in der erwähnten Bundestagsdebatte korrekt auf den Punkt gebracht, ganz frei von Kosten: »Das größte Denkmal, das wir den Opfern des Holocaust errichten können, liegt nicht in Polen, liegt nicht in Deutschland oder sonst wo, sondern in uns selber.«
Kamil Majchrzak ist Publizist und Redakteur der polnischen Ausgabe von »Le Monde Diplomatique«