Der Geist des Neofaschismus
Mittwoch, 20. Januar 2016Polen Wrocław ist zur Europäischen Kulturhauptstadt gekrönt worden. Der Angriff der Nationalisten auf eine herbeifabulierte „europäische Wertegemeinschaft“ wird dabei einfach ignoriert
zugleich erschienen im Freitag, vom 20.01.2016
Mit großem Tamtam wurde am Wochenende die Europäische Kulturhauptstadt 2016 in Wrocław, kurz ESK, eröffnet. Der eingeflogene ESK-Kurator Chris Baldwin choreographierte den Festumzug „Die Erwachung“, dem sich trotz eisiger Kälte zahlreiche Menschen anschlossen. Die Vier Geister der Stadtgeschichte (Geist der Flut, des Wiederaufbaus, der Vielen Religionen sowie der Innovation) verbanden sich in der Innenstadt, wo auf sie eine Militärblaskapelle wartete. Welches der zusammengeschweißten Rohre auf Rädern jeweils welchen Geist verkörperte, war selbst für Ortskundige nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Das Resümee der hermetischen Veranstaltung fällt auch unter lokalen Kulturschaffenden ernüchternd aus: banales Szenario, künstliches Finale, geflissentliche Vermeidung kontroverser Themen. Dabei war es der Geist des Aufbegehrens und der Kritik, der seit jeher die besondere kulturelle und politische Atmosphäre von Wrocław prägte. Dramaturgen wie Jerzy Grotowski und Schriftsteller wie Tadeusz Różewicz wirkten nicht zufällig in dieser Stadt.