Antisemitismus in Breslau – Weltoffenheit als Mythos
Samstag, 18. Juni 2016
Deutschlandradio Kultur | Thementag Wrocław-Breslau | Na żywo | Interview | Beitrag vom 17.06.2016
Kamil Majchrzak im Gespräch mit Korbinian Frenzel
Im vergangenen Jahr verbrannten Rechtsradikale in Breslau auf dem Rathausplatz eine Puppe, die wie ein orthodoxer Jude aussah. Der Publizist Kamil Majchrzak sieht darin keinen Einzelfall, sondern beklagt die steigende Gefahr von Antisemitismus in Polen.
Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit würden bisher in Polen verkannt, kritisiert der polnische Publizist Kamil Majchrzak, der Mitglied des Internationalen Komitee Buchenwald-Dora ist. Bei der rechtsradikalen Demonstration auf dem Breslauer Rathausplatz im November 2015 habe es sich nicht etwa um einen Einzelfall gehandelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem, sagt Majchrzak im Deutschlandradio Kultur. „Die traurige Wahrheit ist auch, dass Polen das empirische Beispiel dafür ist, dass der Antisemitismus auch ohne die Juden funktioniert“, sagt er. „Es leben nur wenige Juden in Polen.“ Majchrzak betont, dass Breslau nicht nur eine deutsche Stadt gewesen sei, sondern auch eine jüdische Kultur gehabt habe.
Europäisches Problem
Bei der angeblichen Weltoffenheit von Breslau handele es sich aus der Sicht von Opfern rechter Gewalt und Leuten, die in der Erinnerungsarbeit engagiert seien, eher um einen Mythos als um Realität. Der Publizist sagt, die Leugnung des Antisemitismus sei für die aktuelle nationalistische Identitätsbildung in Polen konstitutiv. Es helfe auch nicht weiter, wenn die Breslauer Stadtverwaltung rechtsradikale Vorfälle eher als Problem der Imagepflege betrachte. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das ist auch ein europäisches Problem.“
(mehr …)